Der Pausenraum

Während er in Gedanken bei den Patienten war, beziehungsweise jeweils halb verteilt war, hörte er nur diese Musik und bewegte seinen Kopf kurz im Rythmus, als er aufhörte und immer noch auf die Akten sah. "Sollen Sie nicht die Kinder aufmuntern?", fragte er kurz und legte die bereits dritte Krankenakte von den neun. Bis jetzt waren alle Krankheit heilbar. Bis auf eine. Ein älterer Mann hatte NCL. Also CLN4. Meistens eine Erbkrankheit. Ob ihm jemand gesagt hatte, dass er unheilbar Krank ist? Er legte die Akte etwas langsamer an die Seite als die anderen und war froh, dass die nächste Frau nur einen Beinbruch hatte und bald wieder gehen konnte. Aber es muss ja alles eingetragen werden und die Schwestern hatten diese Arbeit eben.

Stephanie hörte auf zu spielen. "Nun, die Kinder haben Mittagsruhe.", erklärte sie Dr. Kelso. Sie schüttelte leicht den Kopf. Er war immer so mies drauf und das störte Stephanie. Sie wollte nur warten, bis die Mittagsruhe vorbei war und sich dann wieder auf den Weg zu ihnen zu machen. Irgendwie fand niemand ausser ihr ihre Aufgabe wichtig. Manchmal fühlte sie sich echt überflüssig. Doch Stephanie wuste, dass es als Kind nicht schön ist, in einem Krankenhaus zu sein. Kinder wollten lachen, spielen und vorallem die Kinder, die hier länger sein mussten, taten Stephanie leid. Wenigstens munterte sie die Kinder etwas auf, indem sie ihnen etwas vorsang und vorspielte.

Kelso legte alle Akten an die Seite und sah schließlich zu Gooch. Ja, so hieß die Gute.
Er hob eine Augenbraue und nach ihrer Aussage fiel ihm dann etwas ein: "Ah, die haben Mittagsruhe. Verdammt, deswegen bin ich so müde." Vielleicht sollte Bob das nächste mal auf die Uhr gucken, wenn er schlafen geht? Nunja, eigentlich schläft er in seinem Büro ziemlich oft. Viel zu oft, weswegen er in der Nacht immer nur noch die nicht mehr Jugendfreien Inhalte fand.
Ja, nur leider waren die meisten sowieso nicht ostasiatisch. Meistens. Kelso sah wieder zu der Frau. "Ich wusste ganz genau, dass ich was vergessen hatte!", sprach er viel eher zu sich, bis Ted wieder reinkam und ihm erklärte, was er alles getan hat. Er kam mit folgender Antwort: "Dr. Kelso, die Versicherung zahlt dem Leukämiejungen die Operation!" Kelso sah ihn nur mit gehobener Augenbraue an. "Ted.. der Junge ist seit einer Woche tot..", sprach er kurz bitter und emotionslos.
Darauf schluckte Ted nur noch und ging um die Ecke. Der Knall war aber eindeutig Ted. Gegen was oder wen war er wieder gelauen?

Stephanie unterdrückte ein Lächeln. Jedenfalls kam nach einiger Zeit Ted herein und meinte, dass die Versicherung irgendeine Operation bezahlen würde. Doch Dr. Kelso sagt, dass der Junge seit einer Woche tot war. Also war er noch ein Kind. Das machte Stephanie traurig. Und dass das Dr. Kelso auch noch so herzlos sagen konnte... Ted ging um die Ecke und ein krachen ertönte. So als wäre jemand gegen etwas gelaufen. Stephanie überlegte, ob sie zu Ted gehen sollte und nachschauen awollte, ob er Hilfe brauchte. Aber schliesslich ließ sie es. Anstatt dessen blickte sie Dr. Kelso böse an. Naja, so böse, wie sie eben schauen konnte. Eigentlich tat Stephanie das kaum.

Kelso legte die Beine über, bis er merkte, dass ihn die Frau irgendwie böse ansah.
"Was schauen Sie so?", fragte er irgendwie wütend und streng. Wahrscheinlich ging es wieder um seine
"Herzlosigkeit" und sowas. Wenn er bei jedem Patienten sentimental werden sollte, dann würde er doch nicht mal Chefarzt geworden.
Jetzt hatte er eine Zeitung bei sich und die Krankenakten wurden soeben wieder abgeholt. Einige Ärzte brauchten sie und sowas. Natürlich.
Es dauerte nur kurz, als er Ted in die andere Richtung baumeln sah und er sagte: "Alles Gut."
Kelso musste kurz Lachen und sich kurz die Augen reiben. Achja, der Ted. So wie Kelso ihn kannte.
Ein Versager.

Dr. Kelso fragte Stephanie wütend "Was schauen sie so?", wieso musste er sie jetzt anmotzen? Schliesslich war Dr. Kelso gerade so herzlos gewesen und hatte so richtig fies reagiert, wie sie fand. Stephanie schüttelte leicht den Kopf. "Wie können sie nur so Kaltherzig sein?!", fragte sie Dr. Kelso. Dann baumelte Ted in die andere Richtung und sagte "Alles gut." und Stephanie musste schmunzeln. Dann aber sah sie wieder zu Dr. Kelso. Sie fragte sich, wieso er nur immer so war. Dr. Kelso war immer so fies und genau das Gegenteil von Stephanie.

Und nun fing wieder die gleiche Situation an. Wie konnte er nur so kaltherzig sein? Wie konnten ihm die Patienten so egal sein?
"Hm, da Sie wahrscheinlich nicht wissen, wie es ist Arzt zu sein: Ob es nun ein Baby, ein dreizehnjähriger Junge oder ein siebzigjähriger Opa ist: Ich muss weitermachen, so wie jeder Arzt. Wenn sie über Gefühle sprechen wollen, können Sie sich ruhig an Dr. Dorian wenden. Oder am besten an den Kenner der Gefühle: Dr. Perry Cox.", erzählte er und wurde immer lauter. "Also. Nehmen wir mal an ein siebenjähriger stirbt: Während Sie trauen würden, sterben im Krankenhaus noch dreißig weitere Patienten, die man durchaus hätte retten können.", sprach er augenzwinkernd und machte die Zeitung auf.
War ja alles nichts neues. So war es nunmal. Niemand konnte was dagegen tun und wenn ein Junge starb, dann tat er das. Kelso selber hatte ja keinen richtigen Kontakt zu den Patienten. Noch weniger zu Kindern. Das erinnerte ihn an das kaputte Leben von Harrison.

"Das heisst aber nicht, dass man so eiskalt wie sie reagieren muss.", antwortete Stephanie immernoch mit tadelnder Stimme. "Natürlich sollte man als Arzt sich um die anderen Patienten kümmern, aber musste man gleich so kalt sein?", fragte sie Dr. Kelso. Stephanie verstand das alles nicht. Dr. Dorian war so eine Art Arzt, die Stephanie mochte. Ihn ging der Tod der Patienten nahe und trotzdem kümmerte er sich um andere. Er war nicht so kaltherzig wie Dr. Kelso. Stephanie verschränkte verärgert die Arme. Irgendwie machte es sie wütend, dass Dr. Kelso immer und wirklich immer so kalt reagierte.

"Sie haben das Arzt-Sein noch nicht erlebt und werden es wohl auch nicht mehr. Wenn ein Patient stirbt, wird weitergemacht. Wenn er keine Krankenkasse hat, wird er rausgeschmissen. Das sind die Regeln des Sacred Hearts, junge Dame. Wenn Sie mich nun entschuldigen.", sagte er und stand auf. Jetzt könnte er dies mit dem Schlafen nachholen. Hoffentlich würde diese Gooch endlich ruhe lassen. Kaltherzig. Natürlich.
Nein, Bob würde jetzt jeden Patienten umarmen und ihm jede Operation kostenlos geben, weil er so großzügig war.
Zu den Ärzten wäre er dann nett und freundlich. Noch konnte Kelso sich zusammenreißen und sie nicht mit Worten so zu verstümmeln, dass sie vergisst wo das Krankenhaus ist. Da stellt man jemanden ein und die Person hackt auf einem rum.

Stephanie sah Dr. Kelso verständnislos an. Als er aufstand blickte sie kurz auf ihre Armbanduhr. Noch ein paar Minuten, dann konnte sie endlich wieder zu den Kindern. Da Dr. Kelso gehen wollte, ließ sie ihren Blick auf die Gitarre schweifen und fing an, eine leise Melodie zu spielen. Das beruhigte sie wieder. Stephanie war ganz in ihre Gitarre vertieft. Aber sie dachte auch an Dr. Kelsos Worte. "... Wenn ein Patient stirbt, wird weitergemacht. Wenn er keine Krankenkasse hat, wird er rausgeschmissen...", das fand Stephanie nicht gerade nett. Vorallem das letzte. "... Wenn er keine Krankenkasse hat, wird er rausgeschmissen..." wie konnte Dr. Kelso nur ruhig schlafen?

Wow. Mein erster Tag in einem Krankenhaus. Ich würde endlich anderen Leuten helfen können, so wie ich es immer auf der Uni gemacht hatte. Also, wenn mich die Professoren gelassen hatten. Sie waren immer voll gemein zu mir, nur weil ich manchmal in den Unterricht gesprochen hatte. Tzz.. warum man auch statt 'man' 'mon' sagt.
Egal..
Ich ging also durch die Fluren, kam in einem Raum an. Wahrscheinlich ein Pausenraum. Hier stand eine Couch, an der Wand war ein Fernsehr. Aber keiner war hier. Also setzte ich mich, mit meinen permanenten Grinsen, darauf und überlegte, ob ich mir hier vielleicht ein neues Image auflegen würde. Vielleicht die coole. Ich nahm meine Arme unter die Achseln, wie diese Typen in den Musikvideos. Oder die Süße. Sofort kringelte ich meine Haare um den Finger und lächelte verlegen. Hatte ich als die Eingebildete vielleicht mehr Chancen, neue Freunde zu finden? Schnell zog ich die Augenbrauen hoch und schaute hochnäsig. Nein! Ich würde ich bleiben. Aber manchen würde ich sicher ziemlich auf die Nerven gehen.
Na, die werden das schon aushalten.. dachte ich, stand wieder auf, lächelte erneut und lief aus dem Zimmer heraus.